Hallo, da bin ich! Wann geht dein Zug? Dazwischen 48 Stunden. Das Fremdeln am Anfang, das Abschiednehmen am Schluss. Ein Versuch über die geglückte Liebe auf Entfernung.

Penelope und Odysseus, Oberon und Titania, Lady Sunshine und Mister Moon. Sie alle schmachten werktags nach ihrem Liebsten in der Welt. Liebe auf Distanz - ein Mythos, der immer mehr zur gelebten und geliebten Wirklichkeit wird. Mobilität und Flexibilität fordern ihren Tribut und führen oft dazu, dass Paare die Woche über hunderte Kilometer entfernt leben.

Shuttle-Beziehung, Long Distance Relationship, Living Apart Together - die Bezeichnungen für polyglottes Zusammenleben sind genauso vielfältig wie deren Ausprägungen. In Zeiten neuer Kommunikationstechnologien ja eigentlich auch kein Problem, statt Brieferl und Täubchen gibt's heute E-Mail und SMS.

Fördert das getrennte Zusammenleben nun Selbstverwirklichung oder Entfremdung? Wird die Beziehung ohne gemeinsamen Alltag intensiver oder verliert sie an Sinn? "Die Sehnsucht zehrt schon sehr am Eingemachten. Man wünscht sich, dass es das Beamen oder den fliegenden Teppich wirklich gäbe", schreibt dazu ein Student in sein Internet-Tagebuch, das seine ferne Freundin dort jederzeit nachlesen und per E-Mail kommentieren kann. Wird man so glücklich?


In der Ferne so nah
Sonntag für Sonntag spielen sich an österreichischen Bahnhöfen kleine Dramen ab. Denn jede achte Liebe ist inzwischen eine gewollte oder ungewollte Fernliebe - mit steigender Tendenz.
Die Akteure sind halb Single, halb Paar. Sie sind längst nicht mehr nur Stewardessen und Fernkraftfahrer, sondern in allen sozialen Schichten und Altersgruppen anzutreffen, vor allem auch bei Studierenden.

Völlig unterschiedlich ist aber die Art und Weise, in der die einzelnen Paare ihre Herzensangelegenheit erleben. Von manchen als lediglich vorübergehender Zustand zu ertragen, stellt die Wochenendliebe für einige eine durchaus attraktive Lebensform dar.

Während sich die einen von Sehnsucht, Einsamkeits- und Eifersuchtsattacken gepeinigt durch die Nacht quälen, nutzen andere die partnerfreie Zeit, um beruflichen Ambitionen, abartigen Interessen, der äußerlichen Vernachlässigung oder einfach nur dem Bedürfnis des mentalen Rückzugs nachzugehen.

Die Liebe ist in diesen Fernbeziehungen ständig in Bewegung und zugleich in Gefahr. Von den einen wird der Zustand als pure Qual empfunden, von anderen als Erleichterung, entgeht man so doch den Verschleißerscheinungen des Alltags, bleibt das Gefühl des Begehrtseins erhalten.

Sigrid studierte noch in Linz als es ihren Freund nach Wien verschlug und sie plötzlich zu den "Zwangsdistanzierten" gehörte: "Mit dem VORTEILScard der Bahn, einer gehörigen Portion Liebe und viel Vertrauen lässt sich auch eine Fernbeziehung schaffen. Voraussetzung war für mich: Jeder sollte sein eigenes Leben leben können, d.h. seine eigene Unabhängigkeit schon erfahren haben und in seinem sozialen Umfeld fest verankert sein."

Erwartungen
Trotzdem sind Fragen wie: "Wer fährt zu wem? Wer schlüpft in welches Leben? Wie weit geht die Liebe?" nicht immer so einfach zu beantworten. Die Long Distance Relationship birgt leider ein enormes Problempotenzial.
Das Zusammensein ist die Ausnahme, es kehrt nie Alltag ein, weil Begegnungen ständig geplant werden müssen. Gleichzeitig sind die Erwartungen für diese Treffen sehr hoch, sie müssen gelingen - man sieht sich ja so selten. Durch die Zeit der Trennung haben beide Nachholbedarf an Gemeinsamkeit.

Zerrissenheit
Oft reicht aber die Zeit nicht aus, um alle Bedürfnisse angemessen zu befriedigen. Setzen die beiden Parteien keine Prioritäten in ihren Bedürfnissen, kann dies zu Auseinander-setzungen führen. Zudem ist der immer wiederkehrende Abschied ein Wechselbad der Gefühle.
Das ständige Kofferpacken, dieses Hin und Her, erzeugt ein Gefühl der Zerrissenheit. Für den reisenden Partner wächst das Gefühl nirgendwo und selten richtig zu Hause zu sein, weil es auch an Zeit für die sozialen Beziehungen zu Hause mangelt. Das häufige Telefonieren und die vielen Fahrten verschlingen darüber hinaus viel Geld.

Für Maria war die Distanz Salzburg - Heidelberg ein zermürbendes "Eigentlich"-Leben, das nach zwei Jahren ein Ende im Seitensprung fand. Also, doch keine Fasson zum Seligwerden?

Beruhigend für alle, die getrennt leben und alle, die es noch immer nicht wissen sollten: Das Risiko wird in jeder Beziehung eingegangen. Weder muss die "ménage-à-trois" (Mann-Frau-Wochenende) an der geografischen Distanz scheitern, noch verwandelt der Verzicht auf einen gemeinsamen Alltag die Liebe zwangsläufig in ein ständig anhaltendes Abenteuer.

Ob die Beziehung Bestand hat, ob sie langweilig wird, ob man kuschelt, Orgien feiert oder sich ständig streitet - der Mangel an gemeinsam verbrachter Zeit spielt dabei mit Sicherheit nicht die entscheidende Rolle!
Verantwortlich für die Entwicklung der Liebe sind - wie neu - nur die Beteiligten selbst. Liebe findet durch Distanz immer wieder eine große Nähe, weil Gefühle selten gleichförmig, sondern eher durch die Sehnsucht und die Vorfreude auf das Wiedersehen geprägt sind. Außerdem gibt es wenig Gewohnheiten, die zu Ermüdungs-erscheinungen im Beziehungsalltag führen könnten.

Räumlich getrennt - seelisch vereint
An emotionalen Werktagen können beide ihr eigenes Leben so gestalten, wie sie es sich wünschen. Daher sind viele Zwänge verschwunden, die ein ständiges Zusammenleben mit sich bringen. So müssen nicht alle Beziehungsprobleme gelöst werden.

Die Zeit ist kostbar, manches erledigt sich von selbst bzw. ist die Rücksichtnahme der Partner größer, was dem Entstehen mancher Probleme vorbaut. Wohin Liebe nämlich auch führen kann, beweisen Christa und Peter. Nach zehn Jahren Irland - Österreich, wurde nun geheiratet und ein gemeinsamer Wohnsitz gefunden. Wichtig ist vor allem, gleich zu Beginn ein paar Regeln aufzustellen, sich Rituale und ein wenig Routine zu schaffen.
Die Zeit der Trennung darf zum Beispiel nie zwei Wochen überschreiten. Man sollte sich zumindest einmal am Tag "Hallo" sagen und trotz aller Unabhängigkeit und Selbst-ständigkeit den anderen auch ein wenig vermissen dürfen.

"Man muss 100-prozentig dahinterstehen und bereit sein, den anderen auch mal spontan zu besuchen. Flexibilität heißt auch mal auf die Wünsche und Vorstellungen des anderen einzugehen. Eine Beziehung kann durch Sehnsucht, Willkommen und Abschied unglaublich bereichert werden", erinnert sich Christa nostalgisch.

Beglückend?
Und wer von Natur aus mit einer enormen Harmoniesucht und einem gewaltigen Vertrauen in das andere Geschlecht gesegnet ist - für den ist die Liebe auf Distanz die wohl schönste und beglückendste Form des Zusammenseins.
Lesestoff für Solo-Phasen
  • Freymeyer/Otzelberger (2000): In der Ferne so nah. Lust und Last der Wochenendbeziehungen. Berlin: Links Verlag.
  • Schmitz-Köster, Dorothee (1990): Liebe auf Distanz. Getrennt zusammen leben. Reinbek: Rowohlt.
  • Welter-Enderlin (1995): Paare, Leidenschaft und lange Weile. München: Piper Verlag
  • Pfeifer, Franziska (1996): Ich in Bremen, Du in Zürich. Freiburg: Herder.
  • Bogen, Uwe (1994): Die ferne Frau. Wenn die Liebe am Wochenende auf Reisen geht. Frankfurt: Fischer.
  • Möller, Michael (1996): Die Liebe ist das Kind der Freiheit. rororo.


  • im Web

    www.amazon.de - Buchtipps und Interviews mit "Betroffenen"
    www.clickfish.com - Diskussionsforum zum Thema
    www.single-dasein.de - Ratschläge zum "Single-Dasein"
    www.trendmagazin.de - Nützliches rund um das moderne Leben