„Schreie im Stillen“
Studien Aktionswoche vom 17. bis 24. Oktober 2002


Zum Tabu der sexuellen Gewalt an Mädchen und Buben
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In einer gemeinsamen Initiative setzen die Frauenbüros von Stadt und Land Salzburg sowie make it - das Büro für Mädchenförderung (Akzente Salzburg) im Oktober 2002 ein öffentliches Signal. Mit der Aktionswoche „Schreie im Stillen – Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Buben ist tabu“ werden Ziele auf mehreren relevanten Ebenen anvisiert: Zum einen wird konkrete Hilfestellung und Ermutigung für Betroffene sowie BeraterInnen und BetreuerInnen im Jugend- und Sozialbereich angeboten, auf der anderen Seite wird die breite Öffentlichkeit mit einem nach wie vor Tabu-besetzten Thema konfrontiert.

  • Zahlen & Fakten
    In der Landeshauptstadt Salzburg leben derzeit 112.320 junge Menschen unter 18 Jahren. Laut gesamt-österreichischer statistischer Annahme wird jedes 4. Mädchen und jeder 7. Bub unter 16 Jahren sexuell missbraucht. Die meisten aller missbrauchten Kinder und Jugendlichen schweigen. Manche von ihnen ein Leben lang, fast alle jedoch sechs Jahre - so lange dauert es erfahrungsgemäß durchschnittlich, bis die Opfer im Stande sind, ihre traumatischen Erfahrungen an- und auszusprechen. Die Täter kommen in 98 Prozent aller Fälle aus dem sozialen Nahraum, also aus dem Familien- und Bekanntenkreis, und beinahe immer sind es männliche Täter. Anzeige oder Meldung an die Jugendwohlfahrt erfolgt, gerade wenn der Missbraucher ein Familienmitglied ist, in den seltensten Fällen.

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  • Was ist sexuelle Gewalt?
    Jede sexuelle Handlung, jeder sexuelle Übergriff eines Erwachsenen oder überlegenen Jugendlichen gegenüber einem Mädchen oder Buben geschieht unter Ausnutzung eines Autoritäts-, Abhängigkeits- und Vertrauensverhältnisses und ist sexueller Missbrauch. Der Missbrauch beginnt dort, wo die Grenzen des Kindes verletzt werden, wo es dazu benutzt wird, um sich sexuell zu erregen und zu befriedigen und um über den kindlichen Körper zu verfügen.
    Dazu gehört auch die gewaltvolle Enteignung des Körpers in medizinischen, therapeutischen und pflegerischen Behandlungssituationen. Bemerkungen über den Körper, das Herstellen und Zeigen pornographischer Bilder und alle sexuellen Handlungen, die der Täter an Kindern oder Jugendlichen vornimmt oder sie an ihm vornehmen müssen, sind ebenfalls sexueller Missbrauch.

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  • Ursachen und Folgen
    Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die sexuellen Missbrauch überhaupt ermöglichen, und die traumatischen, psychischen und physischen Folgen für die Opfer sind in unmittelbarem Zusammenhang zu betrachten:
    Je geschlossener das soziale System ist, in dem sexueller Missbrauch erfolgt, desto mehr weiß sich der Täter geschützt. Gerade das „System Familie“ genießt den besonderen Schutz und die Loyalität unserer Gesellschaft, ist dabei aber von traditionellen und sozialisierten Abhängigkeitsverhältnissen sowie einem Machtgefälle zugunsten der Männer geprägt.

    Im Regelfall planen die Täter den Missbrauch lange und sorgfältig, erschleichen sich das besondere Vertrauen des Opfers, setzen gleichzeitig an seinen Schwächen oder Bedürfnissen an und schüren Ängste durch Anwendung subtiler und offener Gewalt. Die Annäherung erfolgt zu Zeiten und an Orten, in denen das Kind dem Täter schutzlos ausgeliefert ist. In der Umgebung, besonders den Müttern ihrer Opfer gegenüber, verschaffen sich Täter ein unverdächtiges Image, zerstören aber auch häufig das Vertrauensverhältnis zwischen Mutter und Kind und untergraben die Glaubwürdigkeit des Kindes bei der Mutter.

    Selbst wenn ein Kind den ersten Schritt aus dieser isolierten und von Ausnutzung des Abhängigkeitsverhältnisses geprägten Situation schafft und über den Missbrauch spricht, setzt damit nicht automatisch die über-lebensnotwendige Hilfeleistung von außen ein sondern wird sogar häufig aktiv verweigert. Meist wird dem Täter eher geglaubt als dem Kind, die sexuellen Übergriffe werden verharmlost und es findet eine Verschiebung der Schuld vom Täter auf das Opfer des Missbrauchs und die Mutter statt. Um die Familienstruktur nicht zu gefährden, wird der Täter kaum jemals voll zur Verantwortung gezogen; weiterer Missbrauch bleibt damit möglich. Das Tabu der sexuellen Gewalt wird zum Verstärker des Missbrauch-Systems.

    Sexuelle Gewalt stellt einen lebensbedrohlichen Angriff auf die ganze Person dar. Kinder und jugendliche Opfer sexueller Gewalt reagieren physisch und psychisch auf diese tiefe Verletzung, leiden an Schlaf- und Konzentrations- und Panikstörungen, entwickeln Ess- oder Magersucht, oder greifen zu Alkohol, Drogen und Medikamenten. Missbrauchte Mädchen setzen häufig auf „heimliche“ und auto-aggressive Bewältigungsstrategien, kapseln sich vollkommen ab und verleugnen die eigenen Gefühle - manchmal bis zum Verlust der Identität. Die Isolation der Opfer und der Mangel an Hilfestellung von außen verschärfen den traumatischen Kreislauf.

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  • Wie reagieren?
    Entsteht der Verdacht, dass im eigenen Umfeld sexueller Missbrauch geschieht, folgt Panik oder Verunsicherung. Wichtig ist es in diesem Fall, Ruhe zu bewahren, dem Kind Glauben zu schenken und die Vertrauensbeziehung zu stärken. Die Suche nach persönlicher Unterstützung und Kontaktaufnahme zu den Beratungsstellen sollte der nächste Schritt sein. Aussagen und auffälliges Verhalten der Kinder sollten protokolliert werden und alle weiteren Maßnahmen in Zusammenarbeit den zuständigen Stellen erfolgen. Alle Schritte müssen für das Kind transparent gemacht und besprochen werden.

Als erste Anlaufstelle für Information und Kontakte steht die Kinder & Jugendanwalt- schaft Salzburg 0662/430550 zur Verfügung.


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Kontakt: Teresa Lugstein, Make It - Büro für Mädchenförderung